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Mader, Rachel

Stolen Ideas - The Subversion of Genius

On-line version: http://www.constantvzw.com/copy.cult/texts/stolen.html

Fragestellungen und Themenbereiche

Das Stehlen von Ideen ist jüngst unter dem Label ’Sampeln’ in den Hype kultureller Praktiken aufgenommen worden, derart euphorisch und vollumfänglich, dass gar der ’Markt’ nicht mehr umhin kam, die Früchte dieser neuen Technik zu pflücken. Dennoch greift das ’Stehlen’ offensichtlich bestehender Ideen immer wieder nicht nur juristisch heikle Punkte an, sondern irritiert innerhalb einer Kunst- bzw. Kulturkontextes Topoi, die man der Vergangenheit anzurechnen glauben meint. Das Kopieren war schliesslich jahrhundertelang Teil der künstlerischen Ausbildung und somit Grundlage jeglichen künstlerischen Schaffens. Seit Duchamp und spätestens mit Pop Art stellt zusätzlich das Uebernehmen ausserkünstlerischer Codes/Zeichen/Gegenständen in den Kunstkontext weniger eine irritierende als schlicht auch eine, sich den Mechanismen des Kunstbetriebes bewusste Haltung dar: damals (und meines Erachtens nicht weniger heute) gilt es als einigermassen verlässliche Karrierestrategie sich der künstlerischen Avantgarde anzuschliessen oder sie gar mitzuformieren. [1] Dass viele dieser avantgardistischen vielfach vorerst einem subkulturellem Umfeld zugerechnet werden scheint eine Tatsache, deren Interpretation genaueres Hinschauen und Untersuchen bedürfte. [2] So scheint es heute gang und gäbe und karrierestrategisch keinesfalls negativ sich gesellschaftlich relevanter Codes und Mechanismen zu bedienen, um durch künstlerische Umarbeitung in die Gilde der darum-Wissenden und davon-Profitierenden aufgenommen zu werden. Dies eine mögliche, gewiss einseitige und eher bösartige Lesweise aktueller, künstlerischer Produktionsweisen. Sampeln (und koperien) kann aber nachwievor als Strategie der Aneignung gelesen werden, die sich vielmehr ungemütlich und widerspenstig gegenüber hegemonialen Erzählungen und Praktiken gebahrt, die nicht nur eine kritische Befragung gesellschaftlicher Bedingungen, sondern zugleich eine ketzterische Stimme im Kunstkontext selbst abgibt.
Postmoderne Theorien betonen (insbesondere im Unterschied zu Theorien der Moderne) die Abhängigkeit der Subjektkonstitution von kulturellen und sozialen Codes [3], das Sampeln als Grundlage menschlicher Identifikation macht diesen Mechanismus nicht nur zu einer Alltagsbanalität, sondern verweist darauf, dass kritische Stellungnahmen und Praktiken sich ihrer Ausgangslage bewusst zu sein haben um nachwievor effizient oder überhaupt hörbar zu sein. Denn darin sind sich die meisten kulturkritischen Stimmen einig: obwohl die postmodernen Theorien uns von allerhand Ballast der Moderne befreit haben, kritische Positionen gegenüber einer nachwievor grossen Zahl realexistierender Ungleichheiten sind vor diesem theoretischen Hintergrund nicht einfacher zu finden. Vor dieser Ausgangsposition soll das Sampeln die Suche nach kritischen Positionen in gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten sein, in denen ökonomisches und kulturelles Handeln zunehmend ähnlichere Haltungen und Strategien aufweisen. [4]

In der Residenz wollen wir Personen versammeln, deren Vorgehen, Arbeiten, Projekte oder Texte sich dieser Parameter bewusst versuchen, ketzerisch zu agieren und wirksam zu werden. Die unterschiedlichen Hintergründe der KünstlerInnen und TheoretikerInnen beleuchten Fragen der Aneignung von Codes, ihrer Subversion, kritischer Stimmen und Positionen, des Potentials künstlerischer Arbeitsweisen usf.

Themenfelder:

Netzwerke/n

’Erfolgsfaktor Networking’ titelt das Thema des Swiss Economic Forums 2000. Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Medien werden die Güten des Netzwerkens predigen, was ebenfalls feministische Kreise und seit kürzerem ebenso explizit künstlerisch-kulturelle Szenen für sich als geeignetes Organisationsprinzip entdeckt haben. In der Tat liegen die Ursprünge ’netzwerkerischem’ Verbinden in sozio-ökonomischen Analysen der späten achziger Jahre. Von feministischen Gruppierungen und Interessensverbänden wurde dieser Gedanken und diese Funktionsmöglichkeit schnell aufgegriffen und für ihre Zwecke instrumentalisiert, da erkannt wurde, dass Beziehungen Solidaritäten bedeutet und diese wiederum Bestandteil erfolgreichen Durchsetzens auch ’minoritärer’ Standpunkte. Im Kunstkontext bedeutete Netzwerken schliesslich auch ein Aufbrechen der uralten und dennoch dominanten Vorstellung, dass künstlerisches Arbeiten in der einsamen Atelierszene zu entstehen habe. [5] Kulturelle Aktivitäten im Netz schliesslich haben mitunter zu einer Euphorie geführt, die nicht nur aus einer technologiekritischen (oder gar -feindlichen) Perspektive zu hinterfragen wäre. Inwiefern können die Netz-Netzwerke über eine informelle Vernetzung und einen globaleren Informationsaustausch sinnvoll und brauchbar sein. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass Individuen letzlich nebst global-kulturellen Codes auch lokale Realitäten [6] zu leben haben. [7] (OldBoysNetwork, Pantograph - EuroVision 2000, MoneyNations, Critical Art Ensemble...)

Politics

Mit der Rezeption der klassischen Moderne in der Kunst (und vielen weiteren wenig zeitlich präzise zu bestimmenden Momenten) hat sich populär die Vorstellung durchgesetzt Kunst und Politik seien zwei separierte Felder. Die seit den späten siebziger Jahren erneut intensiver und breiter geführte Debatte um eine ’Rückeroberung des Politischen auch im Künstlerischen’wird nachwievor teils äusserst ambivalent weitergesponnen. So haben sich die Positionen darüber, was das ’Politische’ an und in der Kunst sei über die Jahrzehnte aufgefächert, immer mehr wird ein politisch bewusstes künstlerisches Schaffen vor dem Hintergrund postmoderner Theorien als kulturelles Schaffen oder als Repräsentationskritik verstanden. Explizit politische Statements (wie man sie hauptsächlich aus politischen Propagandas kennt) kommen in diesem Verständnis weniger vor, ihre Eindeutigkeit scheinen vorerst dem komplexen Verständnis von Gesellschaft in postmodernen Theorien nicht gerecht zu werden. Zeitgenössische kulturelle Praxen fordern für sich politisches Bewusstsein ein, müssen in der Regel aber nicht - wie dies Polit-Propaganda etwa muss - Rechenschaft über Nutzen und Effizienz ablegen. Wie aber können politische Ansprüche formuliert werden, wenn sie sich nicht an bestimmten Punkten legitimieren müssen? Wie kann innerhalb eines Kunstkontextes politisch explizit gearbeitet werden, ohne dass Trends und Vereinnahmungstendenzen aus den Statements ästhetische Schönschreibereien machen (ein Beispiel einer derartigen unentschiedenen Form scheint mir die documenta X zu sein)? (Ralf Palandt, H. C. Dany,

Aneignung und Interpretation [8]

Sampeln bedeutet auch die Seite zu wechseln: vom Produzieren vorerst zum Konsumieren - die kritische Rezeptionsforschung nennt dies auch Aneignung. Cultural Studies haben diese Lesweise - nachdem in den fünfziger Jahren die Jugend erstmals ernsthaft als kaufkräftige Masse gefeiert wurde - etabliert, um Konsum/-verhalten nicht ausschliesslich als passives verstehen zu müssen. Sampeln meint zudem die Form der Aneignung, die das Konsumieren wohl voraussetzt, aber gerade auch dessen Destruktion bzw. die Neuformulierung des Zersetzten meint. Dieser Prozess hat sich gerade auch und insbesondere im künstlerischen Umfeld als stete Gratwanderung herausgestellt: Wo lassen sich die Bedeutungen der benutzten Bilder/Methoden unterwandern, wann schliesst das Sampling zu perfekt und geschmeidig an bestehende Bildwelten an, so dass das neue Produkt als eines unter vielen Neuen gelesen wird? Lassen sich verlässliche Strategien erarbeiten, die ein ketzerisches Verhalten ermöglichen oder weisen sich effiziente Strategien gerade durch ihre konstante Wandlung, Brechung aus? (Regula Burri, Ellended/Liebl, UTV, Mary und Ausstellungspraxis...)

Hybridität

Das Konzept der Hybridität wurde im Umfeld der ’postcolonial studies’ erarbeitet, meint sehr vereinfacht auch ein Sampling kultureller Stereotypen, die weder auf eine originäre Kultur aufbauen, noch an eine wie auch immer geartete Kontinuität kultureller Zuschreibungen glauben. Hybridität wurde von VertreterInnen der ’postcolonial studies’ vorerst als positives Konstrukt zur Aufspaltung kultureller Stereotypen und Hegemonien entworfen, erhielt Kritik insbesondere weil das Konzept als intellektuelles Spiel und als zu unpolitisch interpretiert wurde. Wie wird gerade dieser Ambivalenz im Kunstbetrieb (der ja seinerseits auch als unpolitisch verstanden wird) Rechnung getragen?
(Gülsün Karamustafa, Pantograph)

Künstlerisches Selbstverständnis

Sampling meint auch - und nachwievor mit gleicher Dringlichkeit - eine Infragestellung des künstlerischen Selbstverständnisses. Mir scheint als bestehe ein einigermassen umfassendes kritisches Selbstverständnis in künstlerischen Kreisen, das darüberhinaus eine Kritik gegenüber dem Kunstbetrieb umfasst. Dennoch scheint dieser Betrieb seinen ’Angestellten’ bestimmte Charakteristikas zu bieten, die ihn nachwievor als interessant und attraktiv erscheinen lassen. Wie kann damit umgegangen werden? Wie ist es möglich eine strategisches Verhältnis zu diesem kontroversen Betrieb einzunehmen? Was macht dieses Umfeld überhaupt attraktiv?
(Das KORN präsentiert, Andrea Saemann und Manifest)

1 Vgl. Bürger, Peter, zu Avantgarde usf., und aber auch Groys: Oekonomie des Neuen.

2 zu Subkultur im allgemeinen vgl.: The Subcultures Reader, Gelder, Ken, Thronton, Sarah (Ed.); oder auch: Art, Activism and Oppositionality, Kester, Grant H. (Ed.).

3 Vgl. dazu z.B. Hall, Stuart, (Ed.) Cultural Representations and Signifying Practices.

4 Das Phantom sucht seinen Mörder, von Osten, Marion, Hofmann, Justin (Ed.).

5 Nachwievor erfreut sich der Topos des ’eigenständig Schaffenden’ in der Kunstszene einer ungebrochenen Beliebtheit, die Rezeption kollektiven Schaffens hingegen wird in der Regel mit wenig oder sicher ungenügend beachtet; nachwievor ist es eine Seltenheit, dass Kollektive sich längerfristig im Kunstkontext etablieren können. Allerdings wird es sich weisen inwiefern Netzkunst hier neue Gewichtungen einzubringen vermag.

6 Dazu allenfalls: Lippard, Lucy, The Lure of the Local.

7 Zu Technologiekritik und aber auch -euphorie: Aufsatz von Lummerding, Susanne, Designersubjektivitäten und Cyberspace, AutorInnen wie Giaco Schiesser, Saskia Sassen, Günter Anders - Das prometheische Gefälle, Neil Postman usf.

8 Vgl. dazu vorerst Cultural Studies und Medienanalyse, Hepp, Andreas (Hrsg.)

[1Vgl. Bürger, Peter, zu Avantgarde usf., und aber auch Groys: Oekonomie des Neuen.

[2zu Subkultur im allgemeinen vgl.: The Subcultures Reader, Gelder, Ken, Thronton, Sarah (Ed.); oder auch: Art, Activism and Oppositionality, Kester, Grant H. (Ed.).

[3Vgl. dazu z.B. Hall, Stuart, (Ed.) Cultural Representations and Signifying Practices.

[4Das Phantom sucht seinen Mörder, von Osten, Marion, Hofmann, Justin (Ed.).

[5Nachwievor erfreut sich der Topos des ’eigenständig Schaffenden’ in der Kunstszene einer ungebrochenen Beliebtheit, die Rezeption kollektiven Schaffens hingegen wird in der Regel mit wenig oder sicher ungenügend beachtet; nachwievor ist es eine Seltenheit, dass Kollektive sich längerfristig im Kunstkontext etablieren können. Allerdings wird es sich weisen inwiefern Netzkunst hier neue Gewichtungen einzubringen vermag.

[6Dazu allenfalls: Lippard, Lucy, The Lure of the Local.

[7Zu Technologiekritik und aber auch -euphorie: Aufsatz von Lummerding, Susanne, Designersubjektivitäten und Cyberspace, AutorInnen wie Giaco Schiesser, Saskia Sassen, Günter Anders - Das prometheische Gefälle, Neil Postman usf.

[8Vgl. dazu vorerst Cultural Studies und Medienanalyse, Hepp, Andreas (Hrsg.)

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